Echolocation

23. Dezember 2015. Der Tag vor Heilig Abend. Ich bin in Castlebar im County Mayo. Meine Leidenschaft für Buchläden führt mich zu Eason in der Main Street. In der irischen Ecke entdecke ich ein dünnes, weißes Buch: Echolocation von Terry McDonagh. Der erste Satz auf der Rückseite weckt sofort mein Interesse:

Irish poet, Terry McDonagh, from Cill Aodáin, Kiltimagh, lives in County Mayo and in Hamburg.

Das ist eindeutig etwas für den irisch-deutschen Bereich von IrishBayrisch. Ich lese weiter:

He is the author of several collections of poetry as well as drama, letters and children’s literature. In addition his work has been translated into German and Indonesian. He has taught English at the University of Hamburg and was Drama Director at the International School Hamburg.

Ein paar Minuten später bin ich mit meiner Weihnachtslektüre an der Kasse. Ein paar Tage später habe ich alle 35 Gedichte gelesen. Sie sind sehr unterhaltsam und kurzweilig. Wie ich vom Autor später selbst erfahre, richten sie sich vor allem an jüngere Menschen und Schulen. Das erklärt wahrscheinlich, warum sie so eingängig sind. Manche erinnern mich an meine eigene Schulzeit, manche an meine Erlebnisse in Irland. Einige Zeilen fassen aktuelle Gedanken in passende Worte und regen mich zum Nachdenken an.

Ich kontaktiere Terry McDonagh und frage ihn, ob ich hier aus Echolocation zitieren darf. Zügig und mit irischem Enthusiasmus antwortet er und schreibt, dass er sich darüber sehr freuen würde. Tausend Dank dafür Terry!

Somit können wir uns jetzt auf eine kleine literarische Reise begeben.

Buch Echolocation auf einem dunkelbraunen Holzboden. Cover von Olaf Hille zeigt eine regenbogenfarbene Schallwelle, die in ein Ohr hineingeht, das in schwarz, grau und weiß skizziert ist.
Echolocation, Buch (Cover Design: Olaf Hille; Foto: Tim Kalbitzer)

Foreword

Bereits das Vorwort gefällt mir. Humorvoll und verspielt geht es los.

Foreword

Foreword – beware – poems approaching
Our task is to trip and tangle with words
Rewrite lines till they sing
Epic journeys in rhythm and verse
Wallowing in whimsical wind-scream
Odes to ogres in the open air
Right on the night – all right!
Daydreams in dilly and dally.

Bisher habe ich mir nicht allzu viel aus Gedichten gemacht. Verse wie diese beginnen jedoch, das zu ändern.

Lost Coins

Das ist eines meiner Lieblingsgedichte. Mir gefällt vor allem der Rhythmus, der durch die Zeilenumbrüche erzeugt wird. Am besten liest Du das Gedicht laut und machst nach jeder Zeile eine kürzere oder längere Pause. Dann kannst Du die besondere Dynamik selbst erleben.

Lost Coins

Late one night
when the lights
went out, a thief
ran off
with the takings
of the circus
and hid the coins
up a tree-top.

Later that night,
when the moon
came up, an owl
on the prowl
saw something strange
in the light
and took it back
to her owlets.

The thief climbed
the tree
and found nothing.

The circus went
hungry.

The owl burst
the money bag.

The coins fell
to the ground
and
they are still

there waiting
to be picked up
if
grass hasn’t grown over them.

Das neugierige Kind in mir fragt sich, ob die Münzen noch da sind.

Real Life on Telly

Natur, Mensch und Technik. Diese Themen finden sich immer wieder in Terrys Gedichten. Hier werden alle drei miteinander verbunden.

Real Life on Telly

The woods near us
have been shut down
for instant repair:
the trees are too wild
hedges need trimming,
paths must be levelled
in case people trip,
seats need colouring,
wildlife must be tagged
and signs are to be replaced.

If they’d only leave the woods
as they should be
I wouldn’t have to watch
nature programmes on telly.

Der erste Absatz erinnert mich an die Spaziergänge durch die Wälder in Clarinbridge. Sie sind so ursprünglich und natürlich. Erinnerungen an eine wunderbare Zeit.

Über den zweiten Absatz lohnt es sich meiner Meinung nach, etwas nachzudenken.

Writing by Hand

Als ich den Titel lese, muss ich sofort daran denken, dass ich gerne schöner schreiben würde. Im Zeitalter des Tippens und Wischens ist meine Handschrift doch merklich schlechter geworden.

At our new school, we don’t have pens,
papers or books – we don’t have to think
– a computer chip does it for us.
[…]

Als ich zur Schule ging, gab es noch Stifte, Papier und Bücher. Denken mussten wir vor allem selbst. Ich frage mich, wie das jetzt ist und wie das sein wird, wenn meine Tochter zur Schule geht.

[…]
The good thing about the computer is that you don’t
have to think or spell correctly – it does it for you, but
does it listen to a heart, smell the promises of spring

or the plight of a starling? […]

Was wird aus uns Menschen, wenn wir dem Computer mehr und mehr überlassen? Das wirft eine weitere Frage auf, die gleichzeitig der Titel des nächsten Gedichts ist.

Have Computers Got Plans?

Eine berechtigte Frage.

[…]
do they wonder when we proudly state
that one day
a chip will replace thinking
[…]

Werden wir eines Tages tatsächlich stolz darauf sein?

Werden sich die Computer dann über uns wundern?

Das sind spannende Fragen.

 

Literatur, die zum Nachdenken anregt und Erinnerungen weckt, macht das Leben noch faszinierender. Vielleicht findest auch Du in Echolocation etwas, das Dich inspiriert. Das würde nicht nur mich, sondern bestimmt auch Terry McDonagh freuen. Lese die Gedichte selbst und/oder mit Deinen Kindern und teile hier gerne Deine Gedanken.

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